Mein Freund Bhante Seelawansa

In Fortsetzung der legendären österreichischen TV-Serie „Familie Merian“ aus den frühen 1980er Jahren, in der ich einen merkwürdigen schrägen Vogel, den heute ebenfalls legendär gewordenen „Magister Liguster“ gespielt hatte, sollte ich zehn Jahre nach der letzten Folge wieder auftauchen, und zwar als buddhistischer Mönch.

Ich hatte bis dahin vom Buddhismus keine wirkliche Ahnung, höchstens, wie die meisten, nur einige klischeehafte Vorstellungen. Und auch der Autor wusste nicht, wie er auf diese Idee gekommen war, intuitiv, sagte er. Und nun standen wir da und wussten nicht, was wir mit dieser Drehbuchfigur anfangen sollten. Verhält sich ein buddhistischer Mönch so, wie es im Drehbuch stand? Hebt er die weibliche Hauptfigur aus ihrem Rollstuhl und trägt sie zu einem Sessel? Spricht er so, wie im Drehbuch vorgesehen? Nicht zuletzt die praktische Frage, wie eine Mönchsrobe um den Körper zu binden sei, führte schließlich nach längerem vergeblichem Herumfragen meine Kostümbildnerin und mich zu einem buddhistischen Mönch, der angeblich aus Sri Lanka stammen, in Wien studiert haben und seitdem hier leben sollte. Telefonisch wurde ein Termin vereinbart und an diesem Tag traf ich in einer Wiener Wohnung zum ersten Mal Bhante Seelawansa.

Für mich war dieses Zusammentreffen eine „Liebe auf den ersten Blick“ und die vielleicht wichtigste Begegnung in meinem Leben, die sich zufällig – oder eben gar nicht zufällig – ergeben hat. Und erst viele Stunden später, lange nachdem wir die praktischen Angelegenheiten bewerkstelligt hatten, verließ ich die Wohnung wieder. Seit diesem Tag verbindet uns eine Freundschaft und meine Erkenntnisse aus der Lehre des Buddha, die mir durch meinen Bhante, einen meiner großen Lebenslehrer, nahegebracht wurden, sind aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken.

Mit seiner Toleranz und seinem Humor besitzt Bhante, wie alle ihn nennen und was eigentlich Lehrer heißt, die beneidenswerte Fähigkeit, auf den Buddhismus ganz unspektakulär neugierig und ihn für westliche Menschen begreifbar zu machen, ohne auch nur ein Stück davon zu verraten. Und nie hat man das Gefühl, Bhante wolle einen missionieren. Dabei bleibt alles, was er darlegt, immer verblüffend einfach und einsichtig, auf eine spannende Weise unspektakulär und ohne den geringsten modischen Touch, wie er dem Buddhismus heute viel zu oft angeheftet wird.

Fast spielerisch habe ich auf diese Weise etliche Dutzend Bücher gelesen, welche mir die buddhistische Denk- und Lebensform nähergebracht haben; ich habe durch Bhante bei einem der weltbekannten buddhistischen Lehrer auf seiner „Tournee“ durch Europa eine lehrreiche Privatstunde erhalten, habe bei Dreharbeiten in Thailand einen der großen Mönche im Kloster in Bangkok getroffen und bin in Kandy in einer langen Prozession am verehrten Zahn des Buddha vorbeigezogen. Und viele Stunden habe ich mit Bhante Seelawansa im Gespräch verbracht, über die heiteren Parabeln und Geschichten gelächelt, seinen so einfachen wie weisen Standpunkten zugehört, etliche Zeremonien mitgemacht und egal, in welcher oft verzweifelten Seelenverfassung ich mich befunden habe, immer bin ich bereichert gegangen.

Viele kleine Reisen haben wir miteinander gemacht, zu einer Zeit, als er im Umland von Wien ein Haus oder Grundstück für ein buddhistisches Zentrum suchte. Nicht wenige Zweier-Podiumsgespräche in verschiedenen Gegenden Österreichs haben wir zusammen bestritten und bei großen buddhistischen und interreligiösen Symposien, die er an der Wiener Universität organsierte, bestimmte er mich als Moderator. Als ich einmal in Kanada drehen sollte, war er zufällig – oder eben gar nicht zufällig – auf einer seiner vielen Reisen auch ganz in der Nähe, und so trafen wir einander auch am so fernen Drehort.

MH-K und sein Freund und Lehrer Banthe Seelawansa 1998 in Canada (Foto privat)

Etliche Lesungen mit buddhistischen Texten habe ich seitdem gemacht und zu manchem Zeitungsbeitrag oder Interview zum Thema Buddhismus wurde ich aufgefordert. Und ich hoffe, den vielen Menschen, die mich immer wieder nach diesem Lebensentwurf fragen, im Sinne der Toleranz und der Eigenverantwortlichkeit, die ich von Bhante gelernt habe, einigermaßen richtig zu antworten. Im Sinne der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft und in Respekt vor praktizierenden Buddhisten und ihrem täglichen Bemühen um die Erfüllung der Lehre bezeichne ich mich jedoch nicht als Buddhist, sondern als „jüdischer Buddhchrist“. Eine Bezeichnung, die schon oft belächelt oder kritisiert worden ist: Er sucht sich aus drei Religionen aus, was ihm gefällt, anstatt eine richtig zu leben.

Ich habe in einem meiner Bücher geschrieben, dass ich die Versöhnung der Religionen für die wichtigste Aufgabe der Welt halte. In diesem Bewusstsein lebe ich meine jüdischen Wurzeln, meine christliche Erziehung und meine buddhistischen Erkenntnisse, auch wenn ich den Buddhismus nicht unbedingt für eine Religion, sondern viel mehr für eine Geistesschulung zur Lebensbewältigung für alle, auch nicht religiöse Menschen halte. Dabei begleitet mich der Buddhismus in seiner verblüffenden Logik und Einfachheit wie ein guter und wenn es sein soll, lächelnd mahnender Weggefährte; einmal vor mir weit ausschreitend, einmal neben mir, wie ein Schatten, ein andermal hinter mir, bescheiden und von mir beinahe vergessen – aber immer da. Und ich denke, alles, was die Menschheit dem unverzichtbaren Ziel einer Versöhnung der Religionen näherbringt, sollte willkommen sein. Denn wie ich einmal als Ausspruch eines Weisen gelesen habe, führen alle Religionen irgendwann zu einem gemeinsamen Punkt, und dort beginnt die wahre Religion. Offenheit und Verständnis für eine andere Religion kann zur Lehre des Buddha hinführen, und diese kann auch die eigene Religion vertiefen, oder nicht vorhandene Religiosität im ursprünglichen Sinn wecken. So fern und mystisch der Buddhismus auch durch sein äußeres Erscheinungsbild erscheinen mag, so verblüffend nah und lebbar ist dieser Lebensvorschlag nämlich für uns sogenannte westliche Menschen. Ich habe durch die Lehre etwa das Christentum besser verstehen gelernt. Und wenn neben Unzufriedenheit und Sinnsuche auch modischer Spiritualitäts-Tourismus manche Menschen zum Buddhismus führt, wird das weder den Menschen noch dem Buddhismus schaden.

Mich lässt dieser Lebensvorschlag immer von neuem lernen und erkennen, er führt mich zu mir und meiner Verantwortung zurück und dank Bhante Seelawansa werde ich diese Denkweise nie mehr verlieren. Auch wenn ich unserer Freundschaft manches schuldig bleibe, das Band ist unzertrennbar und manchmal denke ich darüber nach, um wessen Beistand ich in extremen Lebenssituationen, vor allem aber auf meinem Sterbebett bitten würde: es wäre um den von Bhante Seelawansa. Ihm verdanke ich auch den so großartigen Leitsatz seines Vorbildes Nyanaponika, eines ursprünglich deutschen Juden, der in Sri Lanka zum großen buddhistischen Lehrer und Weisen wurde. Diesen Satz, über den nachzudenken sich im Großen wie im Kleinen immer lohnt, habe ich mittlerweile oft und in den vielfältigsten Beiträgen, zu denen ich aufgefordert wurde, zitiert. Ihn zu leben bleibt eine tägliche Herausforderung. Der Satz lautet:

„Durch innere Wandlung wandelt sich das Außen – auch wenn es noch so langsam nachfolgt.“

Miguel Herz-Kestranek, Autor und Schauspieler, April 2023

MH-K und sein Freund und Lehrer Bhante Seelawansa im Juli 2023 in Salzburg  (Foto Monika Bachl)

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